Kümo Fahrt im Winter

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Hier mal eine schöne Story aus der Kümo Zeit in den 60er Jahren, wie ich sie Anfang der 70er Jahre genau so mit der "Moana" erlebt habe, deswegen schreibe ich das mal so nieder. Es sind diese wunderschönen Reisen im hohen Norden Europas, wenn da Winter herrscht ...


Es gibt einen ganzen Laderaum voll Regeln, die man unbedingt beachten muss, wenn man in die Eisregionen fährt. Eine davon ist, da im Kantinenschrank genügend Raum für den heilenden Grog vorhanden ist, denn was nützt es, wenn das Schiff heil in den Hafen kommt, und der Kapitän ist erkältet? Davon hat weder der am warmen Kamin sitzende Reeder noch die frierende Besatzung einen Nutzen, an die sowieso erhöhte Anforderungen gestellt werden. Das beginnt schon am frühen Morgen mit dem Streit um die Persenninge, die steifgefroren wie Gefrierfischfilets auf den Luken liegen. Zentimeterweise müssen sie voneinander getrennt werden. Zwar wurde im Abgangshafen reichlich Salz zwischen sie gestreut, aber sie lösen sich trotzdem nicht leichter. Die abgebrochenen Fingernägel bleiben auf dem Schlachtfeld oder in den Handschuhen zurück, wo sie dann bei unpassenden Gelegenheiten herausfallen, Eitler Sonnenschein prägt die vermummten Gesichter, wenn sie solche Luken morgens vorfinden. Meistens müssen sie erst noch von einem soliden Eispanzer befreit werden, was nur bedeutet, das die Besatzung ein paar Stunden früher aufstehen muss. In arktischer Kalte versucht jeder auf eigene Faust, das Eis von den Luken zu schaffen. Alle handlichen Gegenstande, vom Feuerhaken, Schmiedehammer bis zur scharfgeschliffenen Kohlenschaufel, die sich zur Eisbekämpfung an Bord besonders bewährt haben, werden eingesetzt, wobei besonders von den Schaufeln die Persenninge in arge Mitleidenschaft gezogen werden. Ober im Ruderhaus steht der Kapitän und rauft sich die noch ungekämmten letzten Haare, die ihm die Sorgen treuhänderisch überlassen haben. Da es nichts gibt, was ein tüchtiger Seemann nicht kaputt bekommt, lösen sich die Reste der fast neuen Persenning von der Luke, so das sie nun Zusammengerollt werden  können. Nachdem man sich wortreich geeinigt hat, nach welcher Seite sie fallen soll, beginnt das Zusammenlegen. Immer größer und unhandlicher wird der Berg aus Segeltuch, Eis und Schnee. Unterdessen bilden sich  unter den drei Unterhemden auf den Rücken kleine Schweißperlen, während die steifen Finger durch die Löcher der zerschlissenen Handschuhen lugen. Die Füße fühlen sich wie nicht zum Körper gehörende Eiszapfen an. Man trampelt und schlägt wie verrückt um sich, nur um die Gliedmaßen in Bewegung zu halten, damit sie nicht in einer unbequemen Haltung erstarren. Da sich der Motor an der Ladewinde im strengen Frost gemein benimmt, begibt man sich auch gemeinsam zu ihr hin. Der an alles denkende Steuermann hat noch am Abend vorher einen Waschkessel voll Wasser auf den Herd gestellt, damit es morgens heiß ist. Das wird in den dickwandigen Kühlwassertank gegossen, damit der Motor warm wird. Allein das Wasser genügt nicht, einige Matrosen murmeln unanständige Zauberformeln, die doch nicht immer helfen. Gutausgebildete Maschinisten , aber wo gibt es die, kennen besondere Kniffe. So bleiben nur die ganz alten überlieferten Methoden. Der Motor ist kalt, eiskalt, das Öl im Kurbelkasten steif wie alter Sirup. Die Ventile öffnen und schließen sich mit ostpreußischer Bedächtigkeit. Die Handkurbel wird eingeführt und nun wird gedreht und getörnt, bis die Zunge so weit aus dem Halse heraus bummelt, das sie sich um die Kurbel wickelt Ein anderer holt schnell Benzin und Feuer, womit dem kalten Motor eingeheizt werden soll. Der Motor, auf den der Reeder heilige Eide zu schwören bereit ist, macht nur puff-puff und geht wieder in den Winterschlaf, aber er kennt nicht die unbeugsame Grausamkeit der Besatzung. Äther muss her, man schüttet ihn in den Luftansauge topf. Aber auch dazu sagt die kleine Höllenmaschine nur puff-puff-peng und steht wieder. Der Steuermann, der nun der Ansicht ist, da sein Erscheinen genügen wird, um dem Motor Mores zu lehren, erscheint zornig vor ihm mit achtern der Miene eines geschulten Verschwörers und den heftigen Gesten eines neuen Diktators. Mit schaukelnden Schulterbewegungen schafft er sich genügend Raum, damit er saugt er die kalte ozonhaltige Luft ein, die er gleich bis auf das letzte Molekül benötigen wird. Er setzt an und dreht so schnell, das die Kurbel nicht folgen kann und herausrutscht. Gleich werde ich ihn haben”, und wieder dreht er die Kurbel immer schneller im Kreise herum. Los!” keucht er, und der Gehilfe löst den Hebel. Der Steuermann pustet und törnt, dreht und keucht, aber der Motor lacht nur ganz leise und hämisch. Mit akuter Atemnot steht der Steuermann gebückt vor dem mechanischen Untier und japst: "Gleich hätte ich ihn gehabt!” Das musste er sagen, und nach diesem Abschiedsgruß verlässt er die Stätte und stolpert ausgelaugt nach achtern. Der Kapitän hat das Schauspiel vom teuren Logenplatz aus dem Ruderhaus genau verfolgen können, wo auch die mahnende Uhr hängt, die ihn mit leisen Sekundenschlagen auf die bald beginnende Arbeitszeit aufmerksam macht. Über das Unvermögen der heutigen Jugend und die an Land verausgabten Kräfte des Steuermanns schüttelt er ärgerlich den Kopf. Er zögert noch kurz, überprüft seine vorhandenen Energiereserven, greift dann entschlossen nach der am Haken hängenden dicken Jacke, stülpt sich die Fäustlinge über die Pranken und schliert nach vorne, wo die Besatzung im Halbkreis um das Maschinchen herumsteht und Flüche vom Stapel gleiten lässt, die ich hier leider nicht widergeben kann, da sie sich selbst chemischen Reinigungsprozessen widersetzen. Der Alte fühlt erst einmal das Kühlwasser, verzieht angewidert den Mund und schickt den Jungen nach neuem heißen Wasser. Dann kitzelt er den Motor ein bisschen, drückt an den Ventilen herum, fühlt mit den Händen den Puls, klopft an die Nieren und wartet, da endlich das Wasser kommt. Ein zweiter Mann wird losgeschickt, der den Jungen und das heiße Wasser holen soll. Damit die anderen Verbliebenen nicht an das Deck festfrieren und sich gesundheitliche Schäden zufügen, dürfen sie weiterdrehen, in der Hoffnung, das sich die Lager heiß laufen. Da die beiden immer noch nicht kommen, saust der Kapitän, so schnell ihm seine Stellung erlaubt, nach achtern. Als er in der: Schottöffnung zur Kombüse steht, kommen die beiden anderen gemeinsam heraus, der Kapitän blickte sie finster wie eine Gewitterwolke an, verschwindet in seiner Kajüte hinter der Bord bar und stärkt sich, denn was nützt dem Schiff ein kranker Kapitän. Frisch ermuntert eilt er wieder nach vorne.  Eine selbst zündende Zigarette wird in den Zylinder geschraubt, und der Kapitän packt mit beiden Händen entschlossen die Kurbel. Der Motor weis natürlich, was er dem Kapitän schuldig ist, und bemüht sich, ihm zu helfen, indem er eifrig puff-puff-puff macht. Mit rollenden Augen verfolgt der Kapitän gespannt wie ein Kampfrichter den Vorgang. Mit einer herrischen Handbewegung verlässt der Alte die Bühne und schaut nicht zurück, als er nach achtern verschwindet. Wenigstens ein Motor läuft. Wie spät mag es wohl sein, als er oben im Ruderhaus seinen Stammplatz an der warmen Heizung eingenommen hat. Die Arbeiter müssen gleich eintreffen. Noch aber muss der zweite Motor in Gang gebracht werden. Da der Kapitän gezeigt hat, wie das gemacht wir begnügt er sich jetzt, von oben herab Regie zu führen, die seine Meinung nach unfehlbar dazu führen  wird, den Motor anzuwerfen. Inzwischen sind die Arbeiter eingetroffen und stehen nun um den Motor herum und schließen Wetten ab, ob und wer und wann das Biest anspringen wird. Der Steuermann, der in der Maschine verschwunden war, um die große Lötlampe zu holen, deren Düse natürlich verstopft ist, kommt damit an, die Lampe wie einen Flammenwerfer vor sich herhaltend. Nachdem er den Vormann den Mantel angesenkt hat und bei dem Versuch, das Eis vom Stiefel des Matrosen zu lösen, hält er die Flamme dem Motor unter die Nase. Während einer tüchtig dreht, muss so die Maschine warme Luft einatmen. Die Farbe, mit der das Motörchen angestrichen ist, wirft Blasen, der nasse Handschuh eines Arbeiters verkohlt langsam, und die Besatzung wartet, das der Kapitän als letzte Rettung kommt und ihnen hilft, aber der denkt noch nicht daran, denn er weiß aus Erfahrung, das die Stunde seines Auftrittes noch nicht gekommen ist. Er wird schon gehen, wenn er sieht, das genügend Vorarbeit geleistet wurde. Nachdem jedes Besatzungsmitglied versucht hat, die Maschine in Gang zu setzen, was keinem gelingt, kommt er endlich und dreht und dreht, und der Motor läuft! Ihr müsst viel mehr Bratkartoffeln essen!” Mit diesem gutgemeinten Ratschlag wie man Muskeln und Verstand erhält, verabschiedet er sich, um den Ablader und den Vormann innerlich aufzuwärmen. Da er selbst vorbeugen muss, hält er mit. Muss er ja, denn was nützt einem Schiff ein kranker Kapitän? Wer soll am nächsten Morgen den Motor anwerfen? Da der Kapitän aber seine Kräfte nicht überschätzt, lässt er beide Motoren über Nacht laufen, Damit erspart man sich viel Zeit. Als die Luke endlich vollgeladen ist, muss sie auch wieder zugedeckt werden. Mit den langen kruppstahlharten Persenningen, die festgefroren an Deck liegen. Mit dem Ladebaum werden sie auf die Luke geworfen und von der Besatzung ordentlich verprügelt, wobei sämtliche Besenstiele in Feuerholz verwandelt werden. Die Persenninge sind nicht weicher geworden, aber der Besatzung ist warm. Die Persenninge scheinen eingelaufen zu sein, denn sie passen weder vorne noch an den Seiten und jeder schreit den auf der gegenüberliegenden Seite an, er soll nicht so ziehen. Aber gezogen werden muss, denn sie müssen eingeschalkt werden und nur aus dem Grund gelingt es dann auch. Der Steuermann wundert sich, dass das Schiff soviel Schlagseite hat. Er peilt stundenlang die Ballasttanks, stellt Berechnungen an, die er nicht versteht und kommt zu der, Überzeugung, das aus irgendeinem Grund das Holz auf der einen Seite zu schwer, oder auf der anderen Seite zu leicht sei. Mit undurchdringlichem Gesicht mustert ihn der Kapitän und denkt sich seinen Teil. Als man ablegen will, rührt sich das Schiff nicht von der Stelle. Es ist an der Kai festgefroren. Ein Schlepper muss das Schiff befreien. Das Schiff hat nun keine Schlagseite nach Steuerbord mehr, sondern fällt nun nach Backbord. Das habe ich mir doch gleich gedacht", sagt der Kapitän vor sich hin.